HONDA FäHRT IN DER WSBK HINTERHER: IST DIE 2024ER-FIREBLADE EIN RüCKSCHRITT?

Seit der werksseitigen Rückkehr in die Superbike-WM in der Saison 2020 tut sich Honda schwer, die angestrebten Ziele in der seriennahen Meisterschaft zu erreichen. Im vergangenen Winter erhielt die CBR1000RR-R Fireblade ein Update, das Iker Lecuona und Teamkollege Xavi Vierge endlich an die Spitze bringen sollte. Der erhoffte Aufwärtstrend blieb aber bisher aus.

Noch schlimmer: Im Vergleich zu den anderen Herstellern ist Honda in diesem Jahr weiter zurückgefallen. Wir haben uns bei Werkspilot Xavi Vierge und Teammanager Jose Escamez erkundigt, welche Probleme es bei HRCs WSBK-Projekt gibt und welche Erwartungen man bis zum Ende der laufenden Saison hat.

"Es lief bisher nicht so, wie wir erhofft haben", kommentiert HRC-Teammanager Jose Escamez, der im vergangenen Winter den Job von Leon Camier übernahm. "Ich glaube fest daran, dass wir die Situation umdrehen können, um dort zu sein, wo wir sein wollen", zeigt sich der neue HRC-Teammanager im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Total.com zuversichtlich.

Honda-Werkspilot Xavi Vierge ist aktuell der bestplatzierte Honda-Fahrer und liegt auf P14 der WM. Teamkollege Iker Lecuona, der verletzungsbedingt einige Rennen verpasste, liegt aktuell sogar nur auf P21 der Fahrerwertung. Bei den Herstellern ist Honda abgeschlagenes Schlusslicht.

Honda nicht näher dran: Auf große Hoffnungen folgt Ernüchterung

Auf Grund des im Herbst 2023 vorgestellten neuen Homologationsmodells hatte Vierge vor dem Saisonstart große Hoffnungen. Nach zwei durchwachsenen Jahren wollte der Spanier endlich die Früchte der Arbeit sammeln.

"Wir wussten, dass wir für diese Saison ein neues Motorrad bekommen. Ich war so gespannt darauf und hoffte, dass wir damit den nötigen Schritt machen, um konstant an der Spitze zu fahren. Leider lief es von Beginn an nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten", bemerkt er.

"Wir hatten viel stärker zu kämpfen, als uns lieb ist. Doch es ist erst der Anfang mit einem komplett neuen Motorrad", begründet Vierge die Probleme. "Wir haben noch viel Arbeit vor uns, um das Blatt zu wenden, damit wir schnellstmöglich konkurrenzfähig sind."

Welche große Schwäche die Honda-Piloten zurückwirft

Mangelnder Topspeed ist bei der 2024er-Honda kein Problem. Doch die schlechte Traktion der neuen Fireblade bereitet den Ingenieuren großes Kopfzerbrechen. "Wir haben einen starken Motor, doch es bereitet uns immer wieder Probleme, die Leistung zu nutzen", bestätigt Vierge.

Hat Honda bei der Entwicklung des Motors zu viel gewollt und maximale Leistung der Fahrbarkeit übergeordnet? "Auf den Geraden sind wir schnell, vor allem wenn wir im oberen Drehzahlbereich fahren. Es fällt uns aber schwer, die Leistung bei niedrigen Drehzahlen zu nutzen. Die Traktion bereitet uns einige Schwierigkeiten", verrät Vierge.

"Wir konnten die Bremsstabilität verbessern, doch die Traktion bereitet uns noch größere Schwierigkeiten als im Vorjahr. Das erschwert es uns im Moment, Fortschritte zu machen", nennt Vierge die größte Schwäche der neuen Honda. "Sobald ich ans Gas gehe, dreht das Hinterrad durch. Und es ist offensichtlich egal, was wir am Motorrad machen, die Situation ändert sich nicht."

Erstaunlich ist, dass Honda die Probleme trotz der großen Erfahrung im Rennsport offensichtlich nicht lösen kann. "Wir arbeiten an allen Bereichen des Motorrad, an der Elektronik, am Fahrwerk, an der Abstimmung. Auch in Sachen Fahrstil haben wir einige Dinge probiert. Bisher fanden wir aber noch keine Vorteile. Es ist egal, was wir tun, das Problem bleibt bestehen", berichtet Vierge im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Total.com.

Hat Honda bei der 2024er-Fireblade den falschen Weg eingeschlagen?

Bereits die von 2020 bis 2023 eingesetzte Honda Fireblade hatte erkennbare Schwächen. Die Hoffnung war, dass diese Probleme mit dem 2024er-Update beseitigt werden. Doch das war bisher nicht der Fall. Hat Honda mit dem neuen Motorrad einen Schritt zurück gemacht?

"Ich spüre, dass das Motorrad über Potenzial verfügt. Doch bisher konnten wir es nicht richtig nutzen", bemerkt Vierge und grübelt: "Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert haben. Was klar ist: Die anderen haben sich verbessert. Also selbst wenn wir uns nicht verschlechtert haben, dann sind wir im Vergleich zu den anderen zurückgefallen."

Indirekt macht Vierge somit das höhere Niveau in der Superbike-WM für die enttäuschenden Resultate verantwortlich. Die verletzungsbedingten Pausen von Teamkollege Iker Lecuona waren keine Hilfe bei der Entwicklung der neuen Fireblade. Sowohl auf Phillip Island als auch in Assen verpasste Lecuona die Rennen.

Wenn Lecuona fährt, dann gibt er laut Vierge ähnliche Kommentare zum Motorrad. "Das ist einerseits positiv, andererseits auch nicht. Wir kämpfen mit den gleichen Problemen, auch wenn wir unterschiedliche Fahrstile haben. Iker und ich sind auch körperlich sehr unterschiedlich. Es liegen 10 Kilogramm zwischen uns. Unsere Probleme ähneln sich aber sehr stark", schildert Vierge.

Keine nachlassende Motivation im Team: Lob für Jose Escamez

Die ausbleibenden Erfolge wirken sich natürlich auch auf die Moral in der Truppe aus. Doch laut Vierge sind die Teammitglieder nach wie vor sehr motiviert und wollen zusammen das Ruder herumreißen.

"Jeder arbeitet so hart er kann, um die Situation umzudrehen. Das ist gut, denn es fühlt sich nicht so an, als ob man als Fahrer als einziger richtig hart kämpft. Im Gegenteil, ich spüre die Unterstützung von jedem im Team. Jeder gibt sein Maximum", erklärt Vierge.

An der Spitze des Teams gab es im Winter eine personelle Änderung. Jose Escamez wurde Nachfolger von Leon Camier, der zu Marc-VDS-Ducati wechselte. "Ich kam mit Leon gut zurecht. Er hat gute Arbeit geleistet. Doch er traf die Entscheidung, eine neue Herausforderung anzunehmen. Ich komme aber auch mit Jose sehr gut zurecht. Er arbeitet sehr hart. Alle im Team ziehen an einem Strang", lobt Vierge.

Erfolge in anderen Rennserien zeigen das Potenzial der Honda auf

Mit der Einführung der Triple-R in der Saison 2020 präsentierte Honda die bisher radikalste Version der Fireblade. Während die WSBK-Erfolge noch auf sich warten lassen, konnte die RR-R in anderen Rennserien überzeugen.

Bei der Isle of Man TT gewann Honda einige Rennen, in der Langstrecken-WM wurde man Weltmeister und auch in nationalen Superbike-Meisterschaften, wie der BSB oder der IDM, feierte Honda einige Erfolge.

"Viele Leute kritisieren das Motorrad seit vier Jahren. Doch man muss festhalten, dass es lediglich in der Superbike-WM derartige Probleme gibt", bemerkt HRC-Manager Jose Escamez. "In den anderen Meisterschaften sowie in der Langstrecken-WM konnte das Motorrad sein Potenzial bereits zeigen."

"Doch die Regeln in dieser Meisterschaft waren mitverantwortlich, warum wir hier noch nicht auf den richtigen Weg gefunden haben", erklärt Jose Escamez, der in den WSBK-Reifen von Pirelli aber nicht die Ursache sieht.

"Pirelli hat bewiesen, dass sie gute Reifen herstellen. In anderen Meisterschaften, in denen mit Pirelli gefahren wird, konnten wir gute Ergebnisse sicherstellen. Ich denke nicht, dass die Pirelli-Reifen für die Probleme verantwortlich sind. Und wenn das der Fall wäre, dann müssten wir diese Probleme lösen. Es ist für alle gleich", betont der Honda-Teammanager.

Was kann Honda in der WSBK-Saison 2024 noch erreichen?

Der Blick auf die Hersteller-WM sorgt aktuell für große Ernüchterung. Hinter Ducati (162 Punkte), BMW (126), Kawasaki (94) und Yamaha (92) ist Honda (26) weit zurückgefallen. Das bisher beste Ergebnis der laufenden Saison sind zehnte Plätze.

Sind Podestplätze in der laufenden Saison außer Reichweite? "Nein, absolut nicht. Wenn wir es in der Vergangenheit hinbekommen haben, warum sollte es dann nicht jetzt möglich sein?", zeigt sich Teammanager Jose Escamez zuversichtlich.

"Ein realistisches Ziel ist es, unter normalen Umständen konstant in den Top 10 zu landen. Natürlich streben wir deutlich mehr als die Top 10 an, doch es wäre ein erstes Ziel. Ein weiterer Punkt ist der Rückstand auf den Sieger. Wir würden gern näher dran sein und die Rennen innerhalb von zehn Sekunden zum Sieger beenden", nennt der HRC-Teammanager den angestrebten nächsten Schritt.

2024-05-07T15:02:56Z dg43tfdfdgfd