FUßBALL: EX-PROFI PACKT AUS: "WENN MAN DAS BEI TUCHEL TAT, IST MAN SCHNELL ANGEECKT"

Im Interview spricht Risse über seine Wandlung vom Bundesligaprofi zum ehrenamtlichen Footballspieler, die beiden bisherigen Auftritte in der GFL2 und nennt seine Favoriten in der NFL.

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Zudem erklärt der ehemalige Mittelfeldspieler, warum er einst als Profi des 1. FSV Mainz 05 in eine Studenten-WG zog, wie er den "super intelligenten" Thomas Tuchel erlebte und was er über seinen Hattrick beim Tor des Monats denkt.

Herr Risse, im vergangenen Sommer haben Sie nicht nur Ihre Karriere als Profi beendet, sondern sich auch kurz darauf dem Footballteam Langenfeld Longhorns in der German Football League 2 angeschlossen. Wieso?

Marcel Risse: Ich war schon kurz davor, im Jahr zuvor aufzuhören und konnte mich daher gut auf mein Karriereende vorbereiten. Zunächst wollte ich ein halbes Jahr lang gar nichts machen und schauen, wohin es mich treibt. Dann habe ich relativ schnell gemerkt, dass ich etwas in sportlicher Hinsicht brauche. Erst war ich viel Laufen, aber das hat mich nicht richtig glücklich gemacht. Football hat mich schon immer interessiert und da die Longhorns direkt vor meiner Tür sind, hatte ich das schon etwas im Hinterkopf.

Hatten Sie zuvor schon einmal Spiele von den Longhorns vor Ort geguckt?

Risse: Nein, aber in Langenfeld sind die Longhorns sehr präsent und man bekommt viel mit.

Wie kam der Kontakt zum Verein zustande, haben Sie dort schon jemanden gekannt?

Risse: Nein. Ich habe geschaut, wann die trainieren und mich dann dort einfach mal hingestellt. Als der Trainer auf mich zukam, habe ich ihn gefragt, ob sie nicht einen Kicker gebrauchen könnten und ich mittrainieren darf.

Und was hat er entgegnet?

Risse: Ob ich schon mal gegen einen Football getreten oder wenigstens Fußball gespielt hätte. (lacht)

Ihre Antwort darauf?

Risse: Ich habe gesagt, dass ich nicht gegen das Ei, aber schon einmal gegen einen Ball getreten habe. Das dafür ziemlich lange und unter anderem beim 1. FC Köln. Er fragte, ob das in der Jugend gewesen sei. Es war ein recht witziges Gespräch. Ich fand es sehr cool, ein komplett unbeschriebenes Blatt zu sein. Er meinte dann: Also gut, probieren wir es mal aus. Zwei Tage später fand mein erstes Training statt.

Stand denn fest, dass es für Sie nur um die Position des Kickers geht?

Risse: Ja. Ich wollte zunächst einfach einmal mittrainieren und schauen, ob mir das überhaupt liegt. Ich hatte keinerlei Ambitionen, das Ei zu werfen oder zu fangen. Dafür ist mein Körper auch verbraucht genug.

Wie lief es dann beim ersten Training ab - waren Sie dem Trainer und den Mitspielern nun ein Begriff?

Risse: Der Coach hatte sich wohl informiert und sich sogar entschuldigt, dass er mich nicht erkannt hatte. Bei den Spielern gab es ein paar, denen ich etwas sagte. Das war alles sehr angenehm und man hat mich dort schnell gut aufgenommen.

Waren Sie beim ersten Mal nervös und wie sah die Einheit konkret aus?

Risse: Nein, war ich nicht. Wir haben, auch in den Wochen danach, die verschiedenen Kicks wie das Field Goal oder den Punt geübt. Der Ablauf ist meist so: Ich wärme mich gemeinsam mit den Jungs auf und trainiere dann abseits des Spielfelds separat. Später kommt man noch einmal mit der Gruppe zusammen, wenn das Special-Team, zu dem der Kicker gehört, aufs Feld geht. Das sind aber nur 15 Minuten von insgesamt zwei Stunden Training. Man ist also recht viel allein, kann jedoch sehr individuell trainieren.

Sind Sie denn der einzige Kicker im Team?

Risse: Ja, aktuell bin ich der einzige reine Kicker. In der vergangenen Saison hatten wir noch einen anderen sowie einen Punter. Die haben aber auch noch andere Positionen gespielt.

Wie oft wird denn trainiert?

Risse: In der derzeit laufenden Vorbereitung dienstags und donnerstags. Ab und zu auch am Wochenende. Da findet dann ein sogenanntes Mini-Camp inklusive Vorbereitungsspielen statt. Das geht den ganzen Tag. Im Mai geht die Saison dann richtig los.

Und endet nach zehn Spielen Mitte Oktober. Werden Sie bei allen dabei sein?

Risse: Das ist zumindest mein Wille und kann höchstens von einem Urlaub mit der Familie in den Ferien verhindert werden. Meine Planungen sehen dahingehend aber anders aus. Diese Möglichkeit möchte ich mir auch nicht mehr nehmen lassen, denn früher konnte ich das ja nie machen. Sonst gäbe es auch Ärger mit der Frau!

Was sagt die denn ganz grundsätzlich zu Ihrer neuen Sportart?

Risse: Sie war erst einmal froh, dass ich etwas gefunden habe, das mir Spaß macht. Sie weiß ja auch, dass ich einen solchen Ausgleich einfach brauche. Wenn man sein ganzes Leben quasi täglich Teamsport betrieben hat, dann vermisst man das sehr schnell. Es heißt ja oft, dass einem nach der Karriere das Miteinander in der Kabine fehlt - das traf bei mir voll zu. Nun habe ich das zum Glück wieder.

Waren Sie denn überrascht von genau diesem Gefühl?

Risse: Naja. Man kann sich nicht darauf vorbereiten, sondern spürt es erst, wenn es so weit ist. Die Erklärung, warum das wohl bei mir der Fall ist, fiel mir dann recht leicht.

Wie viele Spiele haben Sie bislang für die Longhorns absolviert?

Risse: Zwei. Das erste war nur dafür da, den ganzen Ablauf kennen zu lernen. Der unterscheidet sich schon sehr vom Fußball, daher bin ich da auch herumgelaufen wie Falschgeld. Ich hatte keinen Plan, wann ich überhaupt drankommen könnte und war entsprechend auch nicht so bei mir, wie es als Kicker sein muss. Das war letztlich nicht dramatisch, da ich nur die beiden Kickoffs gemacht habe und wir sonst auch keinen Touchdown hatten. Mittlerweile habe ich den Dreh besser raus und bin ganz zuversichtlich, was die nächste Saison betrifft.

Wie oft kommt man denn in der Regel dran?

Risse: Das ist schwer zu sagen - vielleicht zehnmal. Würde ich noch den Extra-Punkt dazu machen, dann wohl 15- bis 20-mal.

Wie sahen die Rückmeldungen für Sie während des vergangenen Jahres aus?

Risse: Gut. Im Training lief es mit der Zeit immer besser. Es gibt nicht viele Zweitliga-Mannschaften, die einen Kicker haben, durch den sie viele Field Goals schießen können. Wir stellen daher aktuell auch ein wenig um, damit wir das künftig nutzen können. Wenn ich die Dinger dann häufig verwandele, würde es das für uns als Team einfacher machen.

Haben Sie in den beiden Partien denn schon ein Field Goal erzielt?

Risse: Nein, das kommt dann aber jetzt bald! In meinem zweiten Spiel hatten wir einen Field-Goal-Versuch aus relativ weiter Distanz. Den habe ich vergeben, die beiden Extra-Punkte aber getroffen. Die sollten zu 99,9 Prozent auch drin sein.

Beim Field-Goal-Versuch oder auch bei einem Trick Play besteht ja die Gefahr, ordentlich über den Haufen gerannt zu werden. Hat es Sie schon einmal erwischt?

Risse: Noch nicht, ich warte noch auf den ersten Einschlag. Irgendwann wird er kommen, so viel ist sicher.

Hand aufs Herz - wie schwierig ist das mit dem Kicken beim Football wirklich? Es gibt bestimmt viele Fußballer, die sich denken: Mit ein bisschen Übung könnte ich das Ei auch ohne Körperkontakt geradeaus kicken.

Risse: In der Theorie ist es einfach, weil es prinzipiell immer der gleiche Kick ist. Was es schwierig macht, ist, dass man von jetzt auf gleich innerhalb von Sekunden im Spiel ist und vorher nur draußen saß. Das Mentale und den Druck in diesem Moment zu handhaben, ist sehr schwierig. Der Kopf spielt eine enorm große Rolle. Das ist im Fußball leichter, man hat ständig seine Aktionen. Im Football habe ich nur den einen Kick und gehe danach wieder vom Feld. Das ist in etwa so, wie wenn man im Fußball nur für einen Elfmeter eingewechselt wird.

Haben Sie denn einen offiziellen Vertrag und bekommen ein Gehalt?

Risse: Weder noch. Lediglich die zwei Amerikaner, die man auf dem Feld haben darf, bekommen eine Wohnung gestellt und ein kleines Taschengeld. Das sind auch die deutlich besten Spieler im Team. Sonst bekommt in der GFL2 fast niemand etwas. Zum Teil zahlen die Spieler noch einen Beitrag an ihren Verein.

Woher kommt denn Ihre Affinität zum Football?

Risse: Es war eigentlich ganz klassisch: Ich habe vor rund 15 Jahren meinen ersten Super Bowl geguckt. Danach ist es immer mehr geworden, irgendwann habe ich fast jede Woche Football geschaut. Zumindest die frühen Spiele um 19 Uhr. Die gucke ich meist mit einem Kumpel bei mir im Keller mit Bierchen und Knabbereien. Ich fand den Sport von Beginn an sehr interessant, weil es so viele unterschiedliche Spielertypen gibt. Ich bin sozusagen mit der Entwicklung, die die ganze Sache in den vergangenen Jahren in Europa genommen hat, mitgewachsen.

Haben Sie ein Lieblingsteam?

Risse: Ich mag die Minnesota Vikings. Dort war ich auch mal im Stadion, da war eine coole Atmosphäre. Bis zum letzten Jahr hat dort noch Kirk Cousins gespielt, den fand ich immer einen richtig geilen Spieler.

Wie sieht es mit einem Kicker-Vorbild aus?

Risse: Von Justin Tucker von den Baltimore Ravens versuche ich mir über YouTube-Videos ein bisschen was von der Technik abzuschauen.

Wie oft waren Sie schon vor Ort bei einem NFL-Spiel?

Risse: In den vergangenen beiden Jahren war ich mit einem Kumpel auf USA-Reise, da haben wir auch ein paar Spiele besucht. Letztes Jahr waren es drei: Seattle, Las Vegas und Minnesota. Das ist einfach faszinierend, ich lasse mich da immer gerne von den Stadien und der Stimmung begeistern.

Die NFL ist eine der kommerziellsten Profi-Ligen der Welt, die Halbzeitshow beim Super Bowl ein einziges Spektakel. Als beim DFB-Pokalfinale 2017 Helene Fischer sang, buhte das gesamte Stadion. Wie könnte der deutsche Profi-Fußball von der NFL lernen, was halten Sie für übertragbar?

Risse: Was den Show-Faktor angeht, könnte er eine Menge lernen. Ich weiß aber nicht, ob das in Deutschland jemals funktioniert. Die Leute wollen keine Helene Fischer beim Fußball. Sie wollen nicht, dass der Sport so kommerzialisiert wird. Da ticken die Amerikaner schlichtweg anders. Das finde ich prinzipiell nicht verkehrt, denn ich mag dieses Entertainment rund um ein NFL-Spiel. Deswegen gehen die meisten Leute auch dorthin: Sie lieben das Entertainment und schauen sich halt drumherum ein Footballspiel an. In Deutschland will man das Fußballspiel sehen, den Rest will fast niemand.

Wie sieht abseits des Footballs Ihr derzeitiger Alltag aus?

Risse: Die Zeit mit meinen Kinder lasse ich mir nicht mehr nehmen, sie steht im Fokus. Ich mache recht viel Sport und gehe ins Fitnessstudio. Dazu habe ich noch ein paar Projekte, die ich nebenbei begleite. Wir organisieren gerade eine Art Wunsch-Bus, wo wir verschiedenen Familien, beispielsweise aus Kinderheimen, ein schönes Erlebnis bieten. Das ist zumindest die Grundidee. Es ist in Deutschland gar nicht so einfach, einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Das zieht sich aktuell noch etwas, aber wir sind dran und hoffen, schnell damit starten zu können.

Was haben Sie noch mit dem Fußball am Hut?

Risse: Genug. Ich gehe ab und an ins Stadion, schaue Spiele im Fernsehen, kicke in der Kölner Traditionself und manchmal auch mit Kumpels.

Die drei letzten Jahre Ihrer Karriere standen Sie bei Viktoria Köln in der 3. Liga nicht mehr im ganz großen Rampenlicht. Wie froh sind Sie dennoch, dass Sie nach all den Jahren nicht mehr im Hamsterrad Profifußball stecken?

Risse: Das ist der beste Teil daran, aufgehört zu haben. Es ist eine ganz andere Freiheit, die ich nun in meinem Leben habe.

Mussten Sie erst lernen, mit dieser neuen Form der Freiheit richtig umzugehen?

Risse: Nicht wirklich. Ich habe mir schon während der Karriere meine Freiheiten gesucht. In sozialen Netzwerken habe ich mich beispielsweise nie herumgetrieben. Das kommt mir jetzt zugute, ich bin in die Anonymität abgetaucht. Ich kann in Ruhe einkaufen gehen und werde von niemandem angesprochen. Das gefällt mir schon ganz gut so.

Nachdem Sie sich das Kreuzband gerissen und wenig später am Meniskus verletzten, verloren Sie Ihren Stammplatz beim 1. FC Köln und gingen 2020 zunächst per Leihe zur Viktoria. Wieso haben Sie sich damals dafür entschieden, gleich zwei Ligen nach unten zu gehen - gab es keine anderen Optionen?

Risse: Es gab auch die Möglichkeit, in der 2. Liga zu spielen. Wir hatten damals aber gerade gebaut und mein Sohn wurde geboren, daher wollte ich nicht umziehen. Ich wollte zu Hause bleiben und hatte das Glück, dass Viktoria nicht weit entfernt war und vernünftigen Fußball spielt. Mir ging es auch nicht darum, noch großartig Geld zu verdienen.

Hat Sie jemals das Ausland gereizt?

Risse: Ich hatte immer mal wieder interessante Angebote aus dem Ausland. Die waren finanziell aber nicht so lukrativ, dass ich dafür überlegt hätte, den 1. FC Köln zu verlassen. Ein großer Wunsch von mir war, einmal in Australien zu spielen. Das wäre auch beinahe passiert, doch dann kam Corona und wir haben uns letztlich leider dagegen entscheiden müssen.

Warum, wie konkret war das?

Risse: Der Vertrag lag zwar noch nicht unterschriftsreif auf dem Tisch, aber ich hatte einen Verein. Das ist auch das einzige Ziel gewesen, wo auch meine Frau mitüberlegt hat, ob wir das mit den Kindern machen. Wir hätten jedoch zwei Wochen in einem Hotelzimmer mit zwei Kindern, darunter ein Neugeborenes, verbringen müssen und es nicht verlassen dürfen. Dazu gab es dort unten weitere Auflagen. Es hat einfach nicht gepasst.

Als Sie von 2010 bis 2013 beim 1. FSV Mainz 05 spielten, haben Sie in einer Wohngemeinschaft gelebt. Weshalb?

Risse: Ich bin damals allein nach Mainz gegangen und wollte mir relativ schnell einen Anlaufpunkt außerhalb des Fußballs suchen, sodass ich mit Leuten in Kontakt komme, die mit dem Sport nichts zu tun haben. Das war mir sehr wichtig. Daher hatte ich die Idee mit der Studenten-WG.

Warum war Ihnen ein solches Umfeld ein Bedürfnis?

Risse: Ich habe mir immer schon sehr viele Gedanken über den Fußball oder das tägliche Training gemacht. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass mir das nicht immer nur gutgetan hat. Man muss sich ja jeden Tag aufs Neue beweisen. Wenn es dann mal Trainingseinheiten oder Spiele gab, die nicht gut waren, habe ich versucht, mich von den Gedanken daran zu lösen. Und das klappte in diesem neuen Freundeskreis mit Leuten außerhalb des Fußballs ganz gut, da musste ich mich nicht mehr großartig daran zurückerinnern.

Wie viele Menschen lebten in der WG und wie sind Sie dort untergekommen?

Risse: Es waren vier Studenten und ich. Ich habe Inserate im Internet durchforstet und wurde dort dann zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ich bin hin, habe niemanden gekannt und von mir erzählt. Natürlich auch davon, dass ich am Wochenende aus Gründen meist wenig Zeit habe. (lacht)

An den Putzplan mussten Sie sich aber vermutlich trotzdem halten, oder?

Risse: Freilich. Jeder war mal dran und stets angehalten, seine Sachen wegzuräumen. Da gab es keine Ausnahmen. Ich würde meinen, dass wir eine relativ ordentliche und saubere WG waren.

Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihr Leben mitgenommen?

Risse: Vor allem zwei Freunde, mit denen ich heute noch Kontakt habe - das ist die schönste Sache. Witzigerweise ist einer davon mein Vorgänger in der WG gewesen. Er ist damals aus- und ich eingezogen, aber war trotzdem oft da. Meist waren wir dort ohnehin mehr als fünf Leute. Und dazu noch die Tatsache, dass es mir unheimlich guttut und ich diesen Ausgleich, andere Gespräche führen zu können, auch brauche.

In Mainz kamen Sie auf 63 Pflichtspiele unter Thomas Tuchel. Haben Sie von ihm im Training auch mal einen solchen Anschiss bekommen wie den berühmten, den Shawn Parker erhielt?

Risse: Ja, klar! Wer nicht? (lacht)

Lag das auch am Eigensinn wie bei Parker?

Risse: Es hat dem Trainer einfach nicht gefallen, wenn man seine eigenen fußballerischen Ideen mit eingebracht hat. Wenn man das tat, ist man relativ schnell angeeckt. Er hatte stets einen klaren Plan und an den sollte man sich auch halten. Das ist eben seine Philosophie, aber man konnte schon auch mit ihm sprechen. Er war taktisch der beste Trainer, den ich je hatte.

Aber einer, der schlecht verlieren kann, wenn man vielen von Tuchels Weggefährten glaubt?

Risse: Das stimmt. Das Video mit Shawn war durchaus ein gutes Abbild der Realität, so etwas kam schon häufiger vor. Wenn das Spiel zuvor nicht positiv verlaufen ist, war die Stimmung beim Trainer und dem gesamten Team natürlich nicht die beste - und dann passieren halt auch solche Dinge ab und zu einmal.

Wie anspruchsvoll war Tuchels Training?

Risse: Es war jede Woche anders und man musste auf jeden Fall für jedes Training bereit sein. Man konnte dort nicht einfach nur auftauchen, den Kopf ausschalten und ein ganz normales Training mit Übungen, die man schon ein halbes Jahr lang kannte, erwarten. Er hat immer versucht, sich perfekt auf den nächsten Gegner einzustellen und das eigene Spiel anzupassen. Dadurch unterschied er sich schon deutlich von den anderen Trainern, die ich in meiner Laufbahn hatte.

Tuchel steckt in der Schublade, als Mensch kompliziert und schwierig zu sein. Wie haben Sie ihn erlebt?

Risse: Er ist ein super intelligenter Trainer, der weiß, was er zu tun hat und wie er das umsetzt. Wenn etwas nicht funktioniert, sagt er es einem auch ungefiltert. Er ist extrem ehrgeizig und kann sehr ungemütlich werden. Das ist an sich auch nicht verkehrt. Es ist schließlich auch Teil seines Jobs, den Spielern ein bisschen Feuer zu machen. Er hat ja bewiesen, dass er mit verschiedenen Charakteren umgehen kann. Ich glaube, in Paris mit den ganzen Stars war es für ihn sehr schwierig. Einen Neymar oder Mbappé wird er jedenfalls nicht so angeblafft haben wie damals Shawn Parker, das kann ich mir nicht vorstellen. Trotzdem scheint er einen Weg gefunden zu haben, mit solchen Spielern zurechtzukommen, um mit ihnen erfolgreich zu sein.

Neben Tuchel spielten Sie unter dutzenden bekannten Trainern: Michael Skibbe, Michael Oenning, Bruno Labbadia, Dieter Hecking, Peter Stöger oder Markus Gisdol. Wer war der beste und warum?

Risse: Taktisch wie gesagt eindeutig Tuchel. Was die Führungsqualitäten angeht, war es Peter Stöger. Er war nicht taktisch brillant, aber er wusste, wie er jeden Einzelnen aus der Mannschaft und auch der Geschäftsstelle anzupacken hat. Der ganze Verein hat unter ihm über Jahre an einem Strang gezogen - und das ist in Köln nicht gerade einfach, wie wir wissen. Das war außergewöhnlich.

Abgesehen von zwei Zweitligameisterschaften mit dem FC und dem Landespokalsieg-Hattrick mit der Viktoria zwischen 2021 und 2023 errangen Sie in Ihrer Karriere keinen Titel. Dafür erzielten Sie als Kölner dreimal das Tor des Monats, sogar zweimal in Serie: gegen Hoffenheim im Oktober und gegen Gladbach im November 2016 sowie im Juli 2018 bei einem Testspiel gegen Mainz. Alle drei Treffer waren Freistöße aus großer Distanz. Wie viel ist Ihnen das heute wert?

Risse: Ich sollte es vielleicht mal als Kicker beim Football versuchen! (lacht) Am schönsten ist für mich, dass ich dadurch in guter Erinnerung bei den FC-Fans geblieben bin. Das macht mich glücklich. Ansonsten waren es schöne Tore und ich freue mich über die Medaillen, aber denke auch nicht täglich daran zurück.

Haben die Medaillen bei Ihnen zu Hause einen prominenten Platz gefunden?

Risse: Leider nicht. Es hängen noch ein paar Trikots herum, aber die Medaillen habe ich nicht extra ausgestellt. Ich glaube aber, dass ich noch weiß, wo sie sind.

Das Tor gegen Gladbach wurde später sogar zum Tor des Jahres 2016 und beim FC zum Treffer des Jahrzehnts gewählt. Sie erzielten es als gebürtiger Kölner auswärts im Derby in der Nachspielzeit aus 36 Metern. Das dürfte mit das Größte sein, was man sich als Spieler vorstellen kann, oder?

Risse: Ich habe schon damals gesagt: Das war der perfekte Zeitpunkt für ein solch schönes Tor und wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Ich weiß noch sehr gut, was ich in dem Moment gefühlt habe und kann mich auch heute noch gut hineinversetzen. Ich war etwas überwältigt, dass der dann tatsächlich reinging. Mein erster Gedanke war: Oh, jetzt muss ich wohl einen besonderen Jubel auspacken. Darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht, aber da der Gästeblock in der Nähe war, war ich der Meinung, auf die Knie gehen zu müssen.

Marcel Risse: Seine Karriere als Profi im Überblick

ZeitraumVereinSpieleToreVorlagen
2007-2010Bayer Leverkusen3--
2009-20101. FC Nürnberg (Leihe)36-9
2010-20131. FSV Mainz 0563511
2013-20201. FC Köln1632632
2020-2023FC Viktoria Köln961215

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