SPIONAGESKANDAL UM GUILLAUME UND BRANDT: ARD-DOKU »WILLY – VERRAT AM KANZLER«

Er schob sich ins Bild, sie machte die verschwörerische Drecksarbeit: Eine ARD-Doku beleuchtet, wie der Spion Günter Guillaume Bundeskanzler Willy Brandt zu Fall brachte. Mit entscheidender Hilfe seiner Frau.

Zwei Familien machen Urlaub in Norwegen, eine ganz normale Sache. Der Mann der einen Familie hat ordentlich Korrespondenzen abzuarbeiten, der Mann und die Frau der anderen greifen ihm freundlicherweise unter die Arme, damit man schneller gemeinsam zum Weintrinken auf der Terrasse übergehen kann. Die Buben beider Familien gehen derweil zusammen segeln oder schwimmen.

Ganz normal ist die Sache dann vielleicht doch nicht. Denn der Mann, der da im Sommerurlaub 1973 in Skandinavien noch so zu viel zu tun hat, ist Bundeskanzler Willy Brandt. Es gibt Ärger bei der Nato, die ganze Zeit prasseln Fernschreiben aus den USA ein, Richard Nixon macht Druck. Die ihm bei den schwierigen, streng geheimen Korrespondenzen zur Hand gehen, sind sein Referent Günter Guillaume und dessen Frau Christel, die ein knappes Jahr später als Spione des Auslandsgeheimdienstes des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verhaftet werden.

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Der Schatten hinter dem Kanzler

Die Guillaumes waren schon 1956 im Auftrag der Stasi unter der Tarnidentität von Geflüchteten aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen. Heute würde man sie im Spionagesprech Sleeper, »Schläfer«, nennen, das Ehepaar lebte ein normales Alltagsleben, aus dem heraus sie das System unterwandern sollten. Gemeinsam haben sie sich dann recht zügig an SPD-Kreise herangewanzt, bis Günter Guillaume schließlich im Kanzleramt landete und dem SPD-Kanzler Brandt als ewiger Schatten im Nacken hing.

Der Beitrag seiner Frau Christel kann offenbar aber gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In der ARD-Dokumentation, die sich nun noch einmal dem wohl wichtigsten Spionagefall in der Geschichte der Bundesrepublik annimmt, heißt es an einer Stelle aus berufenem Munde: »Sie war die fleißigere und fähigere von beiden.«

Beim Urlaub in Norwegen diktierte der Bundeskanzler Christel Guillaume seine Schreiben, die sie dann in mehreren Durchschlägen anfertigte. Einer dieser Durchschläge sollte dann stets über eine Botin an die Staatssicherheit der DDR gehen. In der ARD-Produktion sehen wir die fleißige Christel in einem Interview aus späteren Tagen, wo sie über das Weintrinken, Briefeschreiben und Unterwandern mit Gatte und Kind in Norwegen schwärmt: »Es war ein richtiges Familienidyll.«

Wissensvorsprung vor Sicherheit

Die Dokumentation »Willy – Verrat am Kanzler« von Jan Peter und Sandra Naumann ist ab Mittwoch, dem 24. April in der ARD-Mediathek als vierteilige Serie abrufbar. Vor genau 50 Jahren ist das Ehepaar Guillaume aufgeflogen. Am Montag, dem 6. Mai ist die Doku als 90-Minüter im linearen Programm der ARD zu sehen. Dann wird es genau 50 Jahre her sein, dass Willy Brandt aufgrund des Spionageskandals als Kanzler zurücktrat. Die Detaildichte der Rekonstruktion der Ereignisse ist beachtlich. So wird umfassend nachgezeichnet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits 1960 erste Hinweise hatte, dass es sich bei Guillaume um einen Schläfer der Stasi handelte. Man wollte ihn aber offenbar nicht hochgehen lassen, um auf diese Weise die Stasi auszutricksen und diese glauben zu lassen, ihr Mann sei noch unentdeckt.

Guillaume sollte als Maulwurf weiter wühlen, während der Regierungschef den Lockvogel geben musste. Schlapphut-Spielchen à la Kalter Krieg – die Fahrlässigkeit des damals noch jungen Verfassungsschutzes ist hinlänglich bekannt.

Das Neue an der Rückschau auf den Geheimdienst-Gau ist, wie darin die Rolle der Frauen beleuchtet wird. In den meisten Erzählungen kommen sie als Betthupferl vor, die dem virilen Kanzler in Zügen und Hinterzimmern »zugeführt« werden, und als Randfiguren in Ballkleid oder unter Küchenschürze, die den männlichen Zersetzungsspielen allenfalls zuschauen. Oder wie es an einer Stelle im Ton der Zeit über die Bonner Männerrepublik heißt: »Damen waren nur als gesellschaftliche Arabeske geduldet.«

Die Familie als Zelle der Unterwanderung

Doch in der Dokumentation wird herausgearbeitet, wie aktiv die Frauen im Umfeld von Brandt und Guillaume in Wirklichkeit waren. Es kommen als Zeitzeugen Journalistinnen (West) und Spioninnen (Ost) zu Wort. Am spannendsten aber ist es, wie die Rollenverteilung im Hause Guillaume war. Das Filmteam trägt Interviewpassagen von beiden Ehepartnern aus unterschiedlichen Zeiten zusammen, und je länger man den beiden mitteilungsbedürftigen Figuren zuhört, desto mehr fühlt man sich an moderne Spionage-Serien wie »The Americans« erinnert, in denen die Familie als Zelle der Unterwanderung inszeniert wird. Es gewinnt nach Spionage-Logik, wer die bessere Erzählung hat. Gerade auch im ehelichen Wettstreit.

Allem Anschein nach war bei Herrn und Frau Guillaume, die beide von der Auslandsabteilung der Stasi gelenkt wurden, er der schwächere Part. Allein schon, weil er zig Affären unterhalten haben soll, da stand er seinem späteren Chef Brandt wohl nicht nach. Gerade in den frühen Sleeper-Tagen war Christel deshalb öfter von ihrer besseren Hälfte genervt. Sie selbst hatte sich ziemlich schnell bei der hessischen SPD eingegraben. Genialer Interviewausschnitt: »Ich war in meiner Arbeit erfolgreich, was mir bei Günter zu der Zeit überhaupt nicht der Fall zu sein schien, denn er führte den kleinen Tabakladen meiner Mutter.«

Später konnte Christel ihn dann über die hessische SPD in Richtung Kanzleramt stupsen – der Spion, der unter dem Pantoffel seiner Frau stand.

Offenbar hatte Christel den Spionage-Spätentwickler Günter aber zuvor bei der Stasi angeschwärzt; sie wollte die Vorgesetzte ihres Mannes werden. Doch so fortschrittlich war man dann doch nicht in der DDR. Man drohte mit Kindesentzug, falls sie sich nicht mit der Funktion der Tippse und Zuarbeiterin zufriedengeben sollte. Eine Ehe also, die in die Zeit passte: Er schob sich nach vorne ins Bild und wurde als sonnenbebrillter Schatten im Rücken von Willy Brandt eine Spionage-Ikone, sie machte im toten Winkel die verschwörerische Drecksarbeit. Willkommen bei den Schläfers!

»Willy – Verrat am Kanzler«, als Vierteiler in der ARD-Mediathek abrufbar und am 6. Mai um 22.50 Uhr als 90-Minüter in der linearen Ausstrahlung im Ersten

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