KASSEL WIRD ZU JERUSALEM, DOCH JESU KREUZIGUNG ENTFäLLT

Zum zweiten Mal veranstaltete RTL am Mittwochabend ein ungewöhnliches TV-Ereignis und interpretierte das Leiden Christi live mit deutschen Schauspielern. Neben einigen klugen Gedanken fuhr die Sendung eine Reihe an Skurrilitäten und viel Musik auf. Warum es am Ende nicht zur Kreuzigung kam.

Trotz Dauerregen in Kassel: Ins Wasser gefallen ist die televisionäre Interpretation der Passion nicht. Im Gegenteil: RTL kam der Kreuzigung Jesu Christi auch in diesem Jahr zwei Tage zuvor. Bevor die Kirchen auf der ganzen Welt an Karfreitag dem Leiden und Sterben Jesu gedenken, inszenierte RTL am Mittwochabend schon einmal „Die Passion“ nach seinen eigenen Spielregeln. In petto hatte der Sender dabei viele Promis, moderne Lieder und ungewöhnliche Schauplätze. War da nicht schon mal was?

Tatsächlich brachte der Kölner Privatsender „Die Passion“ bereits zum zweiten Mal als Live-Event auf die Bildschirme. In einer Mischung aus vorproduzierten Einspielfilmen und Liveacts auf der Bühne erzählte der Sender die letzten Stunden im Leben Jesu Christi. 2022 hatte RTL das Format, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt und dort seit Jahren erfolgreich ist, schon einmal auf die Beine gestellt. Damals kam die Übertragung aus Essen in NRW und setzte unter anderem auf Alexander Klaws als Jesus und Thomas Gottschalk als Erzähler.

Die Show erntete damals nur mäßige Kritiken. Dafür aber stimmten die Zuschauerzahlen: Im Schnitt verfolgten die Sendung rund drei Millionen Menschen. Zusätzlich entwickelte sich in den sozialen Netzwerken eine rege Diskussion zu dem Format. Auch deshalb dürfte sich der Sender für eine Fortsetzung entschieden haben.

Als Erzähler engagierte RTL in diesem Jahr den Schauspieler Hannes Jaenicke. Er sagte zu Beginn der Sendung, es gehe um eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Verrat, Leiden und Vergebung sowie um Tod und Hoffnung. Den für Christen zentralen Begriff der Auferstehung nannte er nicht. Dabei sprach Jaenicke nicht von der Kanzel, sondern von der Passions-Hauptbühne am zentralen Friedrichsplatz in Kassel. Kassel solle unser neues Jerusalem sein, sagte Jaenicke. Damit war der Ton gesetzt.

In dieses neue Jerusalem zog Jesus (verkörpert von Musiker Ben Blümel) folgerichtig auch nicht auf einem Esel ein. Vielmehr reiste er im Regionalzug der Deutschen Bahn an – und erreichte sein Ziel sogar pünktlich, wie Jaenicke feststellte und damit die ersten Lacher des Abends erntete. Einige Jünger waren dagegen mit E-Scooter unterwegs. Als ersten Song des Abends performten sie „Tage wie diese“ von den Toten Hosen. Kurz darauf kam Moderator Wolfram Kons mit einem RTL-Mikro auf Jesus zu und fragt ihn, warum er da sei. Das passiert, wenn Passionsgeschichte auf Privatfernsehen trifft.

Neben Skurrilitäten wie diesen arbeitete RTL über weite Strecken mit modernen Popsongs, die inhaltlich zumindest grob in die Dramaturgie der Geschichte hineinpassen. Nachdem Judas Jesus verraten hatte, sang er zum Beispiel „Nie genug“ von Christina Stürmer und drückte damit seine Gier aus. So erzählten die Schauspieler vor allem mit Musik die Passionsgeschichte im Schnelldurchlauf: vom Einzug Jesu im neuen Jerusalem über das letzte Abendmahl bis hin zur Verurteilung durch Pontius Pilatus.

Daneben wartete „Die Passion“ aber auch mit einigen klugen Gedanken auf. Jesu Aufforderung, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben, holte Erzähler Jaenicke in die Gegenwart. Das, sagte der Schauspieler, schließe eben auch auf die Ungeimpften, die Wutbürger, die Querdenker und die Klimakleber mit ein. Das dürfte tatsächlich eine zeitgemäße Übersetzung der christlichen Botschaft sein, die Jaenicke noch dazu überzeugend herüberbrachte. An anderer Stelle mahnte er, dass die Gesellschaft mit beängstigender Geschwindigkeit auseinanderdrifte. Mit Impulsen wie diesen kam der Schauspieler seiner Rolle als Erzähler ernsthaft nach. Das war bei allen Quatsch-Elementen angenehm, zumal Thomas Gottschalk vor zwei Jahren mehr Freude an kleinen Blödeleien gezeigt hatte.

Parallel zur Passionsgeschichte ließ RTL eine Prozession durch Kassel ziehen, auf deren Weg einige Menschen ein mehr als sechs Meter großes Kreuz trugen. RTL-Moderatorin Angela Finger-Erben, die sonst für „Schwiegertochter gesucht“ und die Begleitshow des Dschungelcamps im Einsatz ist, begleitete den Weg. Ein Mann, Peter, erzählt während der Prozession von einem Seitensprung. Und seine Frau berichtete, dass sie ihm durch Gottes Kraft vergeben konnte. Ob es dieses Bekenntnis zum Fremdgehen vor einem Millionenpublikum gebraucht hätte, sei einmal dahingestellt. Insgesamt sorgte die Kreuz-Prozession doch für überdurchschnittlich viele Fremdscham-Momente.

Eine große Schwachstelle zeigte sich derweil zum Ende der Inszenierung. Nachdem Pontius Pilatus (verkörpert von Francis Fulton-Smith) Jesus zum Tode verurteilt hatte, folgte schauspielerisch nicht mehr viel. Eine Kreuzigung wolle man im Jahr 2024 nicht sehen, begründete Fulton-Smith. Und erklärte daraufhin nur abstrakt, wie grausam sich Kreuzigungen damals zugetragen haben. So hatte RTL das Ende der Leidensgeschichte Jesu schon im vergangenen Jahr erzählt. Das ist eine naheliegende Lösung, die aber ziemlich öde ist. Viel spannender wäre es gewesen, wenn sich RTL auch bei dem zentralen Element, der Kreuzigung, an einer modernen Interpretation versucht hätte. So fehlte der Passion ein sehr wichtiger Teil. Das hat etwas von Produkttäuschung.

Doch nicht nur zur Kreuzigung, sondern auch zur Auferstehung verhielt sich RTL nur vage. Am Ende der Inszenierung stand Blümel auf einem Hausdach – nun nicht mehr gekleidet in orange, sondern ganz in Weiß. Gehüllt in Nebelschwaden sang er ein letztes Lied – dann war RTLs Version der Bibelgeschichte vorbei. Zumindest fast. Nahtlos betrat Moderatorin Frauke Ludowig die Bühne – und arbeitete die Ereignisse des Abends in einem „Exclusiv Spezial“ auf. Auch das ist eine der vielen Skurrilitäten, die diesen Abend ausmachten.

Angesichts der vielen absurden Momente dürfte „Die Passion“ vielen Menschen nicht gefallen haben. Dafür bot sie zu viele Angriffsflächen, dafür war sie oft zu unkonventionell. Andererseits: Den Vorwurf, dass Fernsehen heutzutage allzu erwartbar daherkommt, hat RTL mit der Inszenierung entkräftet. Einige dürfte der Sender mit dem pompösen Event abgeholt haben. Ein Hinweis darauf, dass RTL das Interesse des Publikums offensichtlich entfachen konnte: Bei X, ehemals Twitter, landete #DiePassion am Mittwochabend auf Platz eins in den Deutschlandtrends.

Mehr von RP ONLINE

Passionsgeschichte aus verschiedenen Sichtweisen

Jesu Leben und Sterben

Das sind die Ostergottesdienste in der Region

2024-03-27T22:42:11Z dg43tfdfdgfd