DANN WIRD DER STUDENTENPROTEST IN NEW YORK FüR BIDEN ZUM PROBLEM

An der Elite-Uni Columbia in New York haben Studenten aus Protest gegen Israels Kriegsführung in Gaza ein Zeltlager errichtet. Universitätsleitung und Polizei sind machtlos. Das weckt Erinnerungen an ein dunkles Kapitel der US-Politik – und könnte Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahl haben.

Im Frühjahr ist der Campus der Columbia University eigentlich einer der entspanntesten Orte in Manhattan. Man kann unter Kirschbäumen von der Amsterdam Avenue zum Broadway flanieren und die neoklassizistischen Gebäude bewundern. Auf den Stufen vor dem Kuppelbau der Low Library steht die Statue der „Alma Mater“, deren Berührung vor Examen Glück bringen soll. Gegenüber, auf den Rasenflächen vor der Butler Library, kann man den Studenten am Wochenende beim Pickup-Football oder Frisbee spielen zuschauen.

Doch seit zwei Wochen wird hier ein globaler Konflikt auf akademischem Nachwuchsniveau ausgetragen. Einige hundert Studenten haben vor der Butler Bibliothek ein Zeltlager aufgeschlagen, das „Gaza Solidarity Camp“. Sie verlangen aus Protest gegen die israelische Kriegsführung in Gaza von der Universitätsleitung die Einstellung sämtlicher Kooperationen mit israelischen Einrichtungen.

Außerdem sollen die Suspendierungen von fast 100 Studenten zurückgenommen werden, die die Universitätsleitung wegen deren Teilnahme an den Protesten verhängt hatte. Die Disziplinarmaßnahmen hatten in den vergangenen Tagen dazu geführt, dass sich Professoren und Universitätsangestellte mit den Protestierenden solidarisierten.

Am Dienstag hatte die Columbia-Präsidentin Nemat Minouche Shafik die Studenten erneut aufgefordert, die Zeltstadt zu räumen, ansonsten würden „alternative Maßnahmen“ getroffen. Was sie darunter versteht, hatte Shafik schon am Donnerstag der Vorwoche demonstriert, als sie die Polizei rief. Das verstärkte aber nur die Entschlossenheit der Protestierenden, die sich fortan nicht nur moralisch im Recht, sondern auch noch polizeilich verfolgt fühlen durften.

Bis zum Freitag kam es vorerst nicht zu einem weiteren Polizeieinsatz. Auf dem Campus schwankt die Stimmung zwischen Protestcamp und Ferienlager. Man kann sich die Nägel palästina-farben lackieren lassen, es gibt glutenfreies Brot und Melatonin-Kaugummis. Zwischendurch wird Frantz Fanon gelesen, dann wieder „Stoppt den Genozid“ skandiert.

Um zu verstehen, wie der Protest an der Elite-Uni derart ausufern konnte, muss man den Campus verlassen. Am Mittwoch vor einer Woche hatte Shafik in Washington vor einem Senatsausschuss zu erscheinen. Vor allem die Abgeordneten der Republikaner fragten scharf nach, ob sie genug gegen antisemitische Kundgebungen und die Bedrohung jüdischer Studenten durch pro-palästinensische Aktivisten auf dem Universitätsgelände unternehme.

Zwei Uni-Präsidentinnen traten schon zurück

Bei der Beantwortung eben solcher Fragen hatten sich Shafiks Kolleginnen, die Präsidentinnen der Universitäten Harvard, des MIT und der University of Pennsylvania („Penn“) im Dezember rhetorisch denkbar unglücklich verrenkt. Die Penn-Präsidentin trat kurz darauf zurück, die Harvard-Präsidentin wenig später ebenfalls, nachdem auch noch Plagiatsvorwürfe gegen sie aufgekommen waren.

Shafik umgab sich deshalb vor ihrem Auftritt mit Rechtsanwälten und Krisenkommunikationsberatern, um vor dem Senatsausschuss den Eindruck zu vermitteln, konsequent gegen antisemitische Tendenzen vorzugehen. Kurz nach Ende der Anhörung sah sie sich anscheinend genötigt, diese Rolle auszufüllen, und ordnete die Räumung des Protestcamps an. Shafik, die in Ägypten geboren wurde und im Alter von vier Jahren in die USA kam, steht dabei von allen Seiten unter Druck.

Konservative Republikaner nutzen die angebliche Nachsicht im Umgang mit Antisemitismus an der Columbia und anderen Universitäten für ihre Kampagne gegen liberale Bildungsinstitutionen. Die Unterscheidung zwischen Palästina-Unterstützern, Anti-Zionisten und Hardcore-Antisemiten fällt an der Columbia mindestens so schwer wie überall. Unter den Protestierenden sind zahllose arabischstämmige Studierende, aber auch jüdische Studenten von linken antizionistischen Gruppen wie „Jewish Voice for Peace“.

Auf dem Campus blieb es trotz aller Anspannung und Wortgefechte in den vergangenen Tagen friedlich. Vor den Toren, auf dem Broadway und der Amsterdam Avenue riefen Extremisten jedoch dazu auf, Tel Aviv niederzubrennen, feierten die Hamas und empfahlen jüdischen Studenten, „zurück nach Polen oder Weißrussland“ zu gehen. Der Rabbi Elie Buechler, der an der „Orthodox Jewish Learning Initiative“ der Columbia lehrt, fand die Lage so bedrohlich, dass er seinen Studenten empfahl, zu Hause zu bleiben.

An der Columbia, die als Mitglied der „Ivy League“ zu den renommiertesten und teuersten Universitäten des Landes gehört, ergibt sich eine besondere Dynamik – nicht nur aus einer beträchtlichen Zahl jüdischer Studenten, sondern auch aus der Tatsache, dass unter den größten privaten Spendern dieser Universität viele jüdische Alumni sind. Zugleich hat die Uni einen hohen Anteil arabischstämmiger Studenten und ist eine der Wiegen der „postkolonialen Studien“.

Der palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said, Autor des Standardwerks „Orientalismus“, unterrichtete hier jahrzehntelang, der einflussreiche palästinensische Historiker Rashid Khalidi lehrt am Institut für arabische Studien. Und bis heute ist die 82 Jahre alte indisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Gayatry Spivak eine prägende Figur auf dem Campus.

In deren Seminaren zum Postkolonialismus erarbeiteten sich Generationen von Studenten jenes Vokabular, mit dem Israel heute als „koloniale weiße Macht“, oder als „Apartheidstaat“ „gelesen“ wird, der im Begriff sei, einen „Genozid“ an den Palästinensern zu begehen.

Shafik sieht sich nun mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Der Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, Mike Johnson, besuchte den Campus am Mittwoch, um Shafik vorzuwerfen, sie sei „sehr schwach, unfähig“ und habe den Campus nicht unter Kontrolle.

Gleichzeitig warf ihr der Autor Oren Root in der Universitätszeitung „Columbia Specator“ vor, aus Angst um ihren Posten vor dem Druck der Republikaner eingeknickt zu sein und sich gegen die eigenen Studenten gestellt zu haben. Das hätte nicht einmal die reaktionäre Universitätsleitung während der Unruhen 1968 getan, die Root als Student an der Columbia erlebte – und über die er ein Buch schrieb.

Loyalität mit Israel schwindet

Was 1968 der Vietnam-Krieg war, könnte der Israel-Hamas-Krieg für die heutige Studenten-Generation werden: ein politisches Erweckungserlebnis. Nach der jüngsten Harvard Jugendstudie sind fünfmal mehr Amerikaner zwischen 18 und 29 für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza als für die Unterstützung Israels. Dieser sich andeutende Loyalitätsumschwung in den USA dürfte nicht nur die Demokratische Partei vor Probleme stellen.

An der Columbia hofft die Universitätsleitung, es irgendwie über die bevorstehenden Abschlussfeiern in die Sommerferien zu schaffen. Bei den Demokraten hofft man, dass nicht das Gleiche passiert wie 1968. Da tauchten die Kriegsgegner im August beim Nominierungsparteitag in Chicago auf. Es folgten tagelange Straßenschlachten mit der Polizei, die Präsidentschaftswahl ging verloren. Auch in diesem Jahr ist der Parteitag im August, dann soll Joe Biden nominiert werden. In Chicago.

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