MäRKTE INSIGHT: ZURüCK AUF LOS – GELDPOLITIK ALS KURSBREMSE

In den USA verflüchtigt sich die Zinsfantasie. Für die Aktienmärkte bedeutet das unruhigere Zeiten. Aber hinter den jüngsten Turbulenzen verbirgt sich auch eine gute Nachricht, weiß Michael Maisch.

Jerome Powell hat es gegeben, Jerome Powell hat es genommen. Natürlich ist es unangebracht, den Chef der US-Notenbank Fed mit dem lieben Gott zu vergleichen. Aber wenn man auf die Entwicklung der US-Aktienmärkte in den vergangenen sechs Monaten blickt, dann ist Powell eine gewisse Allmacht kaum abzusprechen.

Als der Fed-Chef im vergangenen Herbst für einen Notenbanker ziemlich explizit die geldpolitische Wende ankündigte, war das der Auftakt zum steilen und beinahe ungebremsten Anstieg der Aktienkurse an der Wall Street. Zwischenzeitlich hielten die Märkte bis zu sechs Zinssenkungen in diesem Jahr für möglich, was nie realistisch war. Doch es waren vor allem diese Hoffnungen, die den US-Leitindex S&P 500 von Ende Oktober bis Anfang April um mehr als 25 Prozent in die Höhe trieben.

Weil sich aber die Inflation in den USA als deutlich hartnäckiger als erhofft erweist, verflüchtigten sich die Zinshoffnungen in den USA in den vergangenen Wochen noch schneller als die Meisterschaftshoffnungen des FC Bayern in der Bundesliga.

Mittlerweile halten erste Volkswirte in den USA sogar weitere Zinserhöhungen statt -senkungen für möglich. Seit der jüngsten Rede von Powell ist es so gut wie amtlich: Die Leitsätze der Fed werden länger als erwartet höher bleiben als erwartet – und das ist eine schlechte Nachricht für die Aktienbörsen. Höhere Zinsen verteuern die Refinanzierung der Unternehmen, sie machen Investitionen teurer. Und weil die Anleiherenditen steigen, verlieren Aktieninvestments an Attraktivität gegenüber festverzinslichen Anlagen.

Die Folgen dieser Diagnose lassen sich an der Wall Street beobachten. Der S&P 500 verlor binnen sieben Tagen knapp drei Prozent an Wert, gleichzeitig kletterte die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen auf bis zu 4,7 Prozent. Damit nähern sich die Renditen allmählich wieder dem Stresslevel aus dem Herbst 2023, als sie kurzzeitig auf über fünf Prozent stiegen, der höchste Wert seit der Finanzkrise.

Die Investoren erleben also eine Art Paradigmenwechsel. Statt der als sicher geltenden Zinswende in den USA heißt es zurück auf Los, allerdings mit ein paar zusätzlichen Risiken. Denn im vergangenen Herbst, als Powell den Zinsoptimismus entfacht hatte, gab es noch keinen Angriff der Hamas auf Israel, keinen Krieg in Gaza und keine drohende Eskalation zwischen Israel und dem Iran.

Noch haben die Börsen diesen Paradigmenwechsel nicht ganz verarbeitet, das zeigen die teilweise erratischen Kursausschläge. Klar ist, dass die Rückschlaggefahr größer geworden ist. Vielleicht ist die alte Börsenweisheit „Sell in May and go away" in diesem Jahr nicht der schlechteste aller Ratschläge – zumindest für Investoren, die ihre Nerven schonen wollen.

Kompliziertere Börsenwelt

Doch die ganze Unruhe der vergangenen Tage bringt auch eine positive Erkenntnis: Insgesamt haben die Märkte ziemlich rational reagiert, was wiederum bedeutet, dass der steile Aufwärtstrend der vergangenen Monate wahrscheinlich nicht der Anfang einer gefährlichen Blase war wie zwischenzeitlich befürchtet. Vor allem die rasanten Kursgewinne rund um das Hype-Thema Künstliche Intelligenz hatten diese Furcht geschürt.

Höhere Zinsen bremsen vor allem Technologiewerte, weil deren erst in der Zukunft liegende Gewinne dann abgewertet werden und die Aktien dadurch weniger wert sind. Folgerichtig fielen die Verluste an der US-Technologiebörse Nasdaq in den vergangenen Tagen spürbar stärker aus als beim S&P 500.

In Blasen-Phasen ignorieren die Märkte schlechte Nachrichten oft oder versuchen sogar, sie positiv zu interpretieren. Das scheint im Moment nicht der Fall zu sein. Auf der anderen Seite reagieren die Investoren bislang auch nicht mit panikartigen Verkäufen. Die Börsenwelt ist zwar deutlich komplizierter geworden, aber wirklich erschüttert wurde sie nicht.

2024-04-17T16:00:56Z dg43tfdfdgfd