„CICERO“-BERICHT ZU ATOMAUSSTIEG: VIEL LäRM UM FAST NICHTS

Atomausstieg

„Cicero“-Bericht zu Atomausstieg: Viel Lärm um fast nichts

Ein Magazin wirft der Bundesregierung vor, den Atomausstieg nicht fair geprüft zu haben. Viel Substanz hat das nicht.

Gemessen an der ganzen Aufregung, der „Affäre“, die der Cicero aufgedeckt haben will, dem „Skandal“, den die Bild herbeischreibt und dem „Beben“, über das die Welt berichtet, gibt sich Robert Habeck am Freitagmorgen fast aufreizend gelassen.

Das Magazin hatte die Bundesregierung erfolgreich auf Herausgabe einer Reihe interner Dokumente und E-Mails zum Atomausstieg verklagt. Auf deren Grundlage wirft es Habecks Wirtschaftsministerium und dem von seiner grünen Parteikollegin Steffi Lemke geführten Umwelt-Ressort vor, bei der Prüfung einer möglichen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke getrickst zu haben, um ein politisch genehmes Ergebnis zu bekommen. Das wäre brisant, denn Habeck hatte im Frühjahr 2022 eine ideologiefreie Prüfung der Frage versprochen, ob und wenn ja zu welchen Bedingungen ein Weiterbetrieb der Atommeiler bei der Bewältigung der Energiekrise helfen könnte.

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Doch Habeck gibt sich vor dem Beginn einer Sondersitzung des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie gelassen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Befragung des Ministers für Wirtschaft und Energie.

Er freue sich darauf, sagt Habeck. Die Vorbereitungen der Fernsehleute für die folgenden Live-Schalten kommentiert er mit einem Scherz. „Strom ist jedenfalls genug da.“ Dass ihm dieser Satz so locker über die Lippen kommt, ist aus Habecks Sicht Erfolg seiner Arbeit. Und es ist ein wichtiger Teil seiner Verteidigungsstrategie. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs gab es in Deutschland weder einen Strommangel noch Blackouts. Trotz leergelaufener Gasspeicher, trotz zerstörter Ostseepipelines und trotz der Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke. „Ein Jahr nach dem Atomausstieg müssen wir einmal festhalten, dass sich alle Unkenrufe nicht bewahrheitet haben“, sagt Habeck.

Er hatte nach Abschluss der AKW-Prüfung für das Vorhalten einer „Einsatzreserve“ plädiert, währen die FDP den Weiterbetrieb einschließlich der Bestellung neuer Brennstäbe gefordert hatte. Nach langem Streit setzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) per Machtwort einen Kompromiss durch: Neue Brennstäbe wurden nicht bestellt, die Kraftwerke aber blieben bis April 2023 am Netz, um die Versorgungssicherheit im Winter zu erhöhen. Nach allem, was man weiß, war Habeck das Machtwort des Kanzlers ganz recht. Es ersparte ihm den Konflikt mit Teilen seiner Partei.

Das Magazin Cicero wirft dem inzwischen entlassenen Wirtschaftsstaatsekretär Patrick Graichen und dessen Umweltkollegen Stefan Tidow vor, bei der Prüfung Informationen vor den Minister:innen zurückgehalten zu haben. Habeck und seine Umwelt-Kollegin Lemke, so der Vorwurf, seien von den eigenen Leuten in die Irre geführt worden und hätten danach auch die Öffentlichkeit falsch informiert.

Habeck selbst, das macht er am Freitag klar, hält diese These für ziemlichen Unsinn. „Proaktiv“ hätten er und sein Ministerium die Debatte über einen möglichen Weiterbreitrieb der Kraftwerke geführt, sagt der Minister. Schon vor Kriegsbeginn sei man deshalb auf die Kraftwerksbetreiber zugegangen. Deren ursprüngliche Einschätzung, dass die verbliebenen Brennelemente nur bis Jahresende 2022 reichen würden, habe sich im Laufe des Sommers verändert, und deshalb habe man die Debatte über eine Laufzeitverlängerung noch einmal aufgenommen und am Ende positiv beschieden.

„Die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hätte, ist falsch“, betont Habeck. Die Frage, ob eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler beim Einsparen von Gas hilfreich sein könnte, sei ausdrücklich auch seine gewesen. Er habe sie intensiv mit den Chefs der Kraftwerksbetreiber erörtert. Das alles sei schriftlich konkret dokumentiert und werde nun den Abgeordneten vorgelegt.

Dass ein Minister im Zweifel nicht auf das Briefing seiner Referenten angewiesen ist, sondern sich Erste-Hand-Informationen aus hochrangigen Quellen besorgen kann, gerade in krisenhaften Lagen, bestreitet tatsächlich kaum jemand. Allein dadurch fällt ein großer Teil der Cicero-Behauptungen in sich zusammen. Der Union reichen die Antworten trotzdem nicht. Auffallend zurückhaltend äußert sich die SPD. Fraktionsvize Dirk Wiese kommentiert die Aufregung mit einem Rat an die Kolleg:innen, „ein bisschen entspannter zu sein.“

2024-04-26T14:47:38Z dg43tfdfdgfd